Verlust der Sterne: Die Lichtverschmutzung raubt uns das Weltall

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Verlust der Sterne: Die Lichtverschmutzung raubt uns das Weltall

Aktueller Lichtverschmutzungs-Atlas zeigt: „1/3 der Menschheit kann die Milchstraße nicht mehr sehen“

Lichtverschmutzungskarten 2016 | Deutschland, Europa, global

Diese Karten basieren auf Daten, die am 10. Juni 2016 von einem Wissenschafts-Team um Fabio Falchi (inklusive NOAA’s Chris Elvidge and CIRES‘ Kimberly Baugh) veröffentlicht wurden:
Bild-Quelle: Falchi et al., Sci. Adv., Jakob Grothe/NPS contractor, Matthew Price/CIRES.

1/3 der Menschheit sieht die Milchstraße nicht mehr

99 Prozent der in Europa und den USA lebenden Bevölkerung lebt unter einem mehr oder minder lichtverschmutzten Nacht-Himmel. 60 Prozent der Europäer können von ihrem Wohnort aus die Milchstraße nicht mehr sehen.

Dies sind die erschütternden Forschungsergebnisse, die mit der Neuauflage des Atlas zur Lichtverschmutzung aus dem Juni 2016 einhergehen. Wissenschaftler um das Team des Italieners Fabio Falchi (vom Light Pollution Science and Technology Institute in Thiene) haben diese Zahlen und Ergebnisse gerade in der Fachzeitschrift „Science Advances“ in einem Fach-Artikel publiziert.

Die Gier nach Licht

Schuld daran ist die Gier der Menschen nach immer mehr Licht in der Nacht. Gebäude, Straßen, Wege, öffentliche Plätze, Industrieanlangen, Werbeflächen, Sportanlagen, Skipisten, Bäume: Es wird beleuchtet, was das Zeug hält. Natürlich zumeist die ganze Nacht. Auf direktem oder indirektem Wege strahlt all dieses Licht nach oben ab in den Himmel. Dort streut es an den Luftmolekülen der Atmosphäre. Sind dort oben auch noch Wolken, reflektiert ein großer Teil der irdischen Lichtflut weiträumig zurück auf die Erde. Beide Effekte summieren sich auf zu riesigen Lichtglocken, die die Nacht erhellen. Ein 25.000 Einwohner-Städtchen erzeugt bereits eine etwa 25 km große Lichtglocke um sich herum. Wie enorm sich diese Lichtverschmutzung bereits ausgebreitet und etabliert hat, zeigt dieser aktuelle globale Atlas der Lichtverschmutzung 2016.

Das von der Erde ins All geschickte Licht hat der NASA-Satellit „Suzomi NPP“ (ein US-Wettersatellit, der in über 800 km Höhe die Erde umkreist) vermessen. Mit einem eigens zu diesem Zweck gebauten Instrument, mit dem er im Jahr 2014 ausgestattet wurde, konnte so mit einer deutlich größeren Präzision gegenüber früherer Satelliten-Messsysteme die globale Lichtverschmutzung erfasst werden. Circa 20 Prozent der gesamten Messdaten stammen von Menschen, die ehrenamtlich mithilfe einer installierten App das rückstrahlende Licht auf der Erde gemessen haben. Vor allem außerhalb Europas und Nordamerika. Diese „citizen scientists“ trugen mit über 30.000 Messdaten bei diesem Projekt bei.

Alarmierend: Die Nacht findet nicht mehr statt

Das Hauptaugenmerk bei den Analysen galt in puncto Lichtverschmutzung global den G20-Staaten. Laut den Wissenschaftlern wurde der Lichteintrag dort an insgesamt 21.000 Stellen gemessen. Traurige Spitzenreiter sind Italien und Südkorea. Dort gibt es in großen Arealen eigentlich nur noch den Tag und die Dämmerung.

So richtig dunkel wird es in Westeuropa nur noch in Gebieten im schottischen, schwedischen und norwegischen Raum. Punktuell sind natürlich auch in Deutschland (und vor allem in Österreich) noch relativ dunkle Gegenden zu finden, zumeist aber nur im (hoch)alpinen Raum – also fernab größerer Orte oder gar Städte. Im Atlas sind diese Areale hellblau und blau dargestellt. Begleitet von etwa 3000 mit dem bloßen Auge sichtbaren Sternen, zeigt sich hier das Milchstraßenband sehr schön. Teils sogar bis in seine feineren Strukturen hinein. Dunkelblaue Areale, wo man einen atemberaubenden Sternenhimmel erwarten darf, findet man in Deutschland überhaupt keine mehr.

Und auch bei uns hier im Süden der Republik sieht es nicht (mehr) gut aus: Die Lichtverschmutzung in Bayern ist so vorangeschritten, dass die aktuellen Karten hellblaue (d.h. noch genügend dunkle) Areale nur noch südlich an der Grenze zu Österreich in drei Gebieten zeigen – eines davon ist beispielsweise dasjenige auf und um die Winklmoosalm (Reit im Winkl) herum – sowie östlich zur Tschechischen Republik und nördlich zu Thüringen und Hessen. (Speziell zur Winklmoos-Alm haben wir ► HIER einen separaten Artikel geschrieben).

Sehen kann man die Milchstraße bzw. das Milchstraßenband gerade noch von Gegenden aus, die in der Karte hellgrün und grün gefärbt sind. Dort sind immerhin noch viele hundert Sterne zu sehen. Dort jedoch, wo es ind en aktuellen Lichtverschmutzungs-Karten magenta, pink und weiß gefärbt ist, sieht man allenfalls noch eine Handvoll Sterne oder auch gar keine mehr. Überall dort wird es nicht mehr Nacht. Negative Spitzenreiter in Sachen Lichtverschmutzung in Deutschland sind Düsseldorf, Dortmund und Köln. Bezogen auf Mitteleuropa fallen neben Italien vor allem auch Belgien und die Niederlande auf. Deren extreme Lichtglocken strahlen ins angrenzende Deutschland hinein und hellen dort stark auf, wo es ohne den fremden Lichteintrag eigentlich einigermaßen dunkel wäre. Alarmierend ist jedoch nicht nur das flächendeckende Ausmaß der Lichtverschmutzung, sondern auch die rasche Zunahme in den letzten zehn bis 15 Jahren. Die Nächte werden immer heller und heller …

Negative Folgen des Lichtmülls für Tiere und Pflanzen

Mittlerweile gibt es handfeste Beweise für die Negativwirkung von Lichtmüll, also von zu viel Licht zur falschen Zeit. Ein großes, globales Problem könnte die Veränderung der täglichen rhythmischen Bewegung des Zooplanktons im Wasser sein. Dies brachte eine entsprechende Studie ans Tageslicht. Die gedämpfte Bewegung würde demnach ganzen Nahrungsketten fundamentale Umwälzungen bescheren.

In jedem Fall leiden die nachtaktiven Tiere (das sind immerhin etwa 60 Prozent der wirbellosen und 30 Prozent der Wirbeltiere), die sich in zu heller Umgebung nicht mehr zurechtfinden, vertrieben werden und/oder in Folge sterben. Allen voran Nachtfalter und anderen Insekten, die im hellen Licht der Straßenlaternen verenden. Alleine in Deutschland sind das Nacht für Nacht etwa eine Milliarde (!) Insekten, die an den etwa neun Millionen Straßenlaternen sterben, die in unserem Land die Straßen säumen. Natürlich mit ensprechenden Folgen für das gesamte Ökosystem, weil diese Falter nicht nur Nahrungsquelle für andere Tiere sind, sondern eine sehr wichtige Rolle bei der Bestäubung von Blüten spielen. (Nur nebenbei erwähnt: Dass es immer weniger Insekten gibt, zeigt einem auch die Pkw-Windschutzscheibe. Dort kleben nach längeren Autofahrten nämlich kaum mehr Insekten). Darüber hinaus trifft es beispielsweise auch die Zug- und Singvögel. Abermillionen zerschellen jedes Jahr an hohen Gebäuden, weil die Tiere aufgrund der Helligkeit in den Städten die Orientierung verloren haben. Oder die Meeres-Schildkröten: diese folgen nach dem Schlüpfen nicht mehr instinktiv dem Sternenlicht in Richtung Wasser, sondern dem Stadtlicht – mit fatalen Folgen. Ebenso wirkt sich das nächtliche Kunstlicht negativ auf das Wachstum und die Blüte verschiedenster Pflanzenarten aus.

Insgesamt gesehen weiß die Wissenschaft aber noch verhältnismäßig wenig, wo überall und wie intensiv die Lichtverschmutzung auf Fauno und Flora wirkt. Darum laufen immer mehr Studien, die hier mehr Licht ins Dunkel bringen sollen, welche möglicherweise dramatischen Folgen zu sehr und dauerhaft erhellte Nächte haben.

Problem: LED-Beleuchtungen und „kaltes“ Lichtspektrum

LED-Beleuchtungen sind sehr effektiv und effizient. Die mit der LED-Technik gegenüber z.B. Gasentladungslampen eingesparten Energiekosten werden allerdings in eine fragliche Entwicklung investiert: nämlich in immer noch mehr LED-Beleuchtung. Denn LED-Technik ist ja günstig, so der Tenor. Zudem strahlen die meisten im Einsatz befindlichen LED ein kaltweißes Lichtspektrum ab, also mit einem erhöhtem Blauanteil. Genau diese Lichtfarbe erschwert es jedoch, die Sterne gut zu sehen, da die Luftmoleküle diese Wellenlängen stärker streuen. Davon abgesehen hilft zwar bläuliches Licht, dass man am Morgen schneller in Fahrt kommt. Jedoch hemmt es abends die Bildung des Schlafhormons Melatonin mit allen Konsequenzen für die Gesundheit (hierzu gibt es mittlerweile viele Studien. Ebenso zum Thema Biorhythmus und Kunstlicht). Erschwerend kommt hinzu, dass es ausgerechnet dieser Blauanteil des LED-Lichtes ist, der Insekten und Nachtfalter massenhaft anzieht.

Wenn also LED-Beleuchtung, dann solche, die eher orangefarbenes (also warmweißes) Licht emittiert. Dies erfüllen alle Lichtquellen, deren Farbtemperatur im Bereich zwischen 2000 bis maximal 3000 Kelvin liegt. Und ganz allgemein sollte nicht unnötige in den Himmel gestrahlt werden, sondern nur dorthin, wo man das Licht auch braucht und im besten Fall auch nur dann, wenn man es gerade braucht. Vorbildlich wären z.B. Straßenlampen, die nur bei Bewegung angehen und ausschließlich exakt nach unten abstrahlen. Eine ideale Lampe besitzt ein flaches Schutzglas, sie ist voll abgeschirmt, und der ULR-Wert (upward light ratio) beträgt 0 Prozent. In sehr vielen Fällen würde auch eine schwache Orientierungsbeleuchtung völlig ausreichen, anstatt Straßen und Wege mit Licht regelrecht zu überfluten. Fragen müssen wir Menschen uns aber auch, ob wir Schaufenster und Werbeflächen die ganze Nacht hell erleuchten müssen, oder ob wir Bäume, Kirchen und Gebäude von unten mit Licht fluten müssen (und somit direkt auch den Himmel), oder warum wir mit Flutlichtanlagen das Nacht-Skifahren ermöglichen und zur Weihnachtszeit ganze Gebäude und Gärten in heller LED-Weihnachtsbeleuchtung ertränken …

Erfreulich ist zumindest, dass in einigen Städten bereits umweltfreundliche Lichtkonzepte umgesetzt werden oder schon umgesetzt sind. Und auch wurden weltweit einige Sternenparks ins Leben gerufen, wo penibel auf den Umgang mit Licht in der Umgebung geachtet wird. Doch global betrachtet sieht es mit der Kunstlicht-Vermeidung leider sehr düster aus. Flächendeckend fehlt das Problembewusstsein für den Verlust der Nacht. Allzuoft wird als Argument der Sicherheistaspekt genannt. Doch hier zeigen Studien, dass die Kriminalitätsrate bei geringerer Beleuchtung nicht zwangsläufig steigt. Fakt ist, dass die Vermeidung oder wenigstens Reduzierung von Lichtverschmutzung sehr gut und auch verhältnismäßig günstig umsetzbar ist. Davon sind Lichtplaner ebenso überzeugt, wie die Wissenschaftler. Und entgegen anderer Umweltprobleme, die wir Menschen so haben, würden bei der Reduzierung von Lichtverschmutzung, die letztlich ja nur eine Reduzierung von Lichtverschwendung (bzw. wie ich es nenne, von Lichtmüll) ist, alle Beteiligten Vorteile erlangen.

Überzeugt sind die Wissenschaftler aber auch, dass sich die Himmelsaufhellung in klaren Nächten verdoppeln oder gar verdreifachen könnte, wenn das Thema Beleuchtung und LED-Spektrum ignoriert werde. Weltweit, so lauten die Aussagen der Wissenschaftler in puncto Lichtverschmutzung, nimmt diese pro Jahr um etwa fünf bis zehn Prozent zu.

In Gefahr: Unser Platz im Universum

Jahrtausende lang wurde es nachts immer so dunkel, dass alle Menschen auf der Welt den beeindruckenden Sternenhimmel bestaunen konnten. Jahrtausende lang wurde davon maßgeblich die Kunst, die Wissenschaft, die Relegion und die Tradition der Menschen beeinflusst und geprägt. Dieses wertvolle Kulturgut haben wir innerhalb von ein paar Jahrzehnten nahezu zerstört. Heutzutage wird einem dieser Verlust erst dann bewusst, wenn man mal an einem wirklich dunklen Ort fernab aller Lichter ist und sich einem der Sternenhimmel in ganzer Pracht offenbart. Das, was wir heute überwiegend dort oben sehen, hat mit dem echten Himmel, wie er eigentlich ist, nicht mehr viel zu tun …

Die Folge: Wir Menschen verlieren immer mehr das Gefühl für unseren Platz im Universum. Denn die tausende Sterne und das beeindruckende Band der Milchstraße zeigen uns nicht nur, wo wir zu Hause sind in den Weiten des Alls, sondern auch, wo wir herkommen. Sie erinnern uns daran, dass unser Planet etwas Einzigartiges und Wunderbares ist, der wie ein Mosaiksteinchen zum gesamten Gefüge des Kosmos gehört. Ohne Sterne verlieren wir Menschen das Bewusstsein unseres Seins. Ohne die Sterne gäbe es uns überhaupt nicht. Es wäre ein unsäglicher Verlust, sie nicht mehr zu sehen und sie ehrfürchtig bestaunen zu können …

Lichtmüll visualisiert – Auswirkung von Lichtverschmutzung:

„Mit jedem zusätzlichen Kunstlicht, das die Nacht erhellt, wächst die Überheblichkeit der Menschen. Immer mehr verwässert, dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, weil wir das All und die Sterne nicht mehr sehen, sondern nur noch uns.“ (Manuel Philipp)

In den Lichtverschmutzungs-Karten verwendete Farbabstufungen

FRabzuordnung/Farbcode Flachi Lichtverschmutzungs-Atlas
Bild-Quelle: Falchi et al., Sci. Adv., Jakob Grothe/NPS contractor, Matthew Price/CIRES.

Geschrieben von Manuel Philipp (Dipl. Ing. FH)
für abenteuer-sterne.de

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