Folge #12 des Astronomie-Podcast | Weltall für die Ohren
Wie Aktive Optik der Schwerkraft ein Schnippchen schlägt
In diesem Video-Podcast wird geklärt, was Aktive Optik bei Teleskopen ist und wie aktive Optik funktioniert und damit Teleskope leistungsstärker macht. Astronomen nutzen diese Technik, um mit Teleskopen besser ins Weltall sehen zu können …
Wie Aktive Optik der Schwerkraft ein Schnippchen schlägt
Platsch … und schon liegt es unten: Das Marmeladen-Toastbrot. Dass das passiert, liegt an der eigenen Schussligkeit und vor allem an der Gravitation oder auch Schwerkraft genannt. Die besagt, dass sich Massen gegenseitig anziehen. In unserem Fall zieht die Erde an Ihrem Marmeladenbrot und Ihr Marmeladenbrot an der Erde. Ob es dem Marmeladenbrot nun gefällt oder nicht: es verliert wegen seiner winzigen Masse gegenüber der riesigen Masse unserer Erdkugel in jedem Fall den Kampf gegen die Schwerkraft, fällt zu Boden und da liegt es. Ach ja: sollten Sie sich wundern, warum das Toastbrot immer genau die Marmeladenseite fällt: das hat mit der Kombination aus Toastbrotgröße und Fallhöhe zu tun. Fällt es Ihnen im Stehen aus der Hand oder ist Ihr Marmeladenbrot kleiner als ein gewöhnliches Toastbrot entgehen Sie diesem Schlamassel so ziemlich sicher.
Astronomen können natürlich genauso wenig verhindern, dass ihnen ihr Marmeladenbrot zu Boden fällt. Doch bei einer Sache haben sie es geschafft, der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Nämlich bei ihren großen bis mittlerweile riesig großen Teleskopen. Denn an den großen, schweren Spiegeln dieser Teleskope zerrt die Erde genau wie an unseren Marmeladenbroten natürlich auch – nur um ein Vielfaches intensiver, weil so ein Spiegel tonnenschwer ist. Und das hat Konsequenzen. Dieses Zerren der Schwerkraft führt nämlich zu leichten Verformungen der Spiegeloberfläche. Und das bewirkt Bildverzerrungen. Je größer der Spiegel, desto stärker der Effekt. Und erst recht passieren diese Verzerrungen, wenn ein Teleskop geschwenkt wird. Doch das muss es ja logischerweise immer wieder, weil die Astronomen ja nicht immer nur auf ein und denselben Punkt am Nachthimmel starren wollen. Ein echtes Dilemma. Da werden erst mit viel Aufwand und Mühen hochpräzise Spiegel gebaut und dann macht das Gezerre der Schwerkraft beim Teleskopschwenken all die Präzision wieder zunichte. Wegen der noch nicht vorhandenen Technologie hatte man bis in die 1980er Jahre ganz grundsätzlich ein Problem, Spiegel jenseits von 5 Meter Durchmesser zu bauen. Zudem hätte es dann hochmassive, und sehr aufwendige Stützvorrichtungen gebraucht, um einen solch großen Spiegel überhaupt optisch stabil im Teleskop lagern zu können, weil solche Spiegel extrem schwer gewesen wären. Das Ganze hätte dann die Kosten eines solchen Teleskops nahezu in astronomische Dimensionen katapultiert.
Und wie schwer solche Glasspiegel aus der damaligen Zeit sind. Damit Sie eine Hausnummer haben: 1977 ging z.B. in Chile das sogenannte „3,6-Meter Teleskop“ der Europäischen Südsternwarte in den Betrieb. Wie der Name schon verrät, hat der Spiegel einen Durchmesser von 3,6 Meter. Wiegen tut er sagenhafte 11 Tonnen, was bei einer Spiegeldicke von einem halben Meter aber kaum wundert. Und weil dieser einen halben Meter dick ist, wiegt er sagenhafte 11 Tonnen. Ein wahrer Koloss also. Diese Zahlen machen erst recht deutlich, was dann Spiegel jenseits von 5 Meter Durchmesser gewogen hätten.
Aber … Und jetzt kommt das große Aber.
Denn ein findiger Ingenieur der ESO, also der Europäischen Südsternwarte, hatte zu dieser Zeit schon eine Idee im Kopf, wie man dieses Problem lösen könnte. Das war natürlich gerade vor dem Hintergrund der Knüller, dass die Astronomen ja eigentlich gerne noch viel größere Hauptspiegel haben würden, um noch mehr Licht von den Himmelskörpern des Weltalls einsammeln zu können. Denn wie ich in Folge 8 schon erklärte, ist die sogenannte Lichtsammelleistung zusammen mit dem Auflösungsvermögen die wichtigste Kenngröße eines Teleskops.
Raymond Wilson, so hieß der Ingenieur der ESO, hatte die Idee, die Spiegel einfach so dünn zu bauen, dass sie relativ gut verformbar sind. Packt man dann unter diese dünnen Spiegel ein steuerbares Auflagesystem, das an X verschiedenen Punkten den Spiegel gezielt verformen kann, dann erhält man eine immer perfekte Spiegeloberfläche. Jegliche Verformung durch die Schwerkraft kann kompensiert und vor allem dann auch beibehalten werden.
Diese geniale Lösung von Raymond Wilson wird als Aktive Optik bezeichnet. Aktiv, weil auf die Form des Spiegels je nach Verformung durch die Schwerkraft unmittelbar eingegangen werden kann. Das neue, bahnbrechende Konzept wurde zunächst an einem kleinen Teleskop bei der ESO getestet. Gegen den 1 Meter großen Spiegel drückten von unten 75 verstellbare Stützen, die einzeln mit Motoren bewegt werden konnten. Die Motoren wurden über einen Computer gesteuert, der die notwendigen Korrekturen zuvor berechnete. Das geschah durch die Kopplung des Computers an einen sogenannten Wellenfrontsensor. Dieses Gerät hat permanent auch nur minimalste Verformungen des Spiegels detektiert und woraus der Computer dann die nötigen Korrekturen berechnet hat und die entsprechenden Motoren der Spiegelstützen ansteuerte.
Dies gelang so gut und war ein solcher Erfolg, dass die Europäische Südsternwarte das Nachfolge-Teleskop gezielt damit ausstattete. Unter anderem deshalb heißt der Nachfolger auch New Technology Telescope bzw. kurz NTT. Der Spiegel dieses Teleskopes ist mit 3,58 m Durchmesser fast genau so groß wie das Vorgänger-Modell. Nur hat der Spiegel dieses neuen Teleskopes nicht mehr einen halben Meter Dicke und wiegt 11 Tonnen, sondern ist nur noch 24 cm dick und wiegt 6 Tonnen. Die Werte konnten mit diesem neuartigen Spiegel also etwa um die Hälfte reduziert werden. 1990 ging das New Technology Telescope dann in Betrieb und läutete damit eine neue Ära im Teleskop-Bau ein. Denn alle großen Teleskope der Welt, die dann gebaut wurden, sind mit der Aktiven Optik ausgestattet worden.
So beispielsweise auch das Very Large Telescope der ESO, dass aus vier einzelnen Teleskopen mit jeweils 8,2 Meter großen Spiegeln besteht, die nur jeweils 17 cm dick sind. Auf den Durchmesser bezogen sind die also extrem dünn. Unter jedem Hauptspiegel sorgen jeweils 150 computergesteuerte Stützen für das Beibehalten der Idealform. Doch beim VLT sind nicht nur die vier Hauptspiegel mit Aktiver Optik ausgestattet, sondern auch die jeweiligen Sekundärspiegel. Denn die sind mit jeweils 1,1 Meter Durchmesser auch schon so riesig, dass die Aktive Optik hier ebenso sehr gute Dienste leisten kann. Das Ergebnis kann sich in Form exzellenter Bildqualitäten mehr als sehen lassen. Das VLT ist sogar das Vorzeige-Objekt im Bereich bodengebundener Astronomie und das bislang höchstentwickelte Optikinstrument der Welt. Die Astronomen und Ingenieure haben nämlich sogar geschafft, die vier großen Einzelteleskope über ein unterirdisches hochkomplexes Spiegelsystem, das das Licht aller vier Teleskope zu einem Bild zusammenschaltet, quasi zu einem einzelnen Riesenteleskop zu vereinen. Das Auflösungsvermögen dieses Teleskop-Verbundes ist so enorm, dass es in der Lage wäre, die Scheinwerfer eines Autos, das auf dem Mond steht, noch trennen zu können.
Doch von Superlativen nicht genug. Denn das in ein paar Jahren an den Start gehenden European Extremly Large Telescope hat einen so großen Spiegel, dass knapp 800 Stützelemente für die Realisierung der Aktiven Optik notwendig sind. Denn der Spiegel wird einen Durchmesser von sage und schreibe 40 Metern haben. Das Besondere an diesem Teleskop ist, dass die knapp 800 Stützelemente hier nicht den kompletten Spiegel von unten stützen und verformen, sondern sich der 39-Meter-Spiegel aus lauter kleinen sechseckigen Einzelspiegeln zusammensetzt. Jeder einzelne Spiegel kann bewegt und gekippt werden und so setzen sich die knapp 800 Einzelspiegel mosaik- bzw. bienenwabenartig zu einem einzigen großen Riesen-Spiegel zusammen. Der trotzt dann nicht nur der Schwerkraft, sondern auch Temperaturschwankungen. Denn auch die sorgen für Bildverzerrungen. Dank der Aktiven Optik ist dann für beide Störeinflüsse Feierabend, also Schicht im Schacht.
Durch die Aktive Optik der Teleskope und die Flucht hoch auf die höheren Berge dieser Welt, wo es windstiller, trockener und dunkler ist, erhalten die Astronomen Bilder von den Himmelsobjekten in mittlerweile nie dagewesener Qualität und Detailtiefe. Auf der Jagd nach dem perfekten Bild gibt es für die Astronomen, trotz der Flucht auf die Berge weit abseits der Zivilisation, aber immer noch einen Störfaktor: nämlich das leichte Wabern der Luft in der Erdatmosphäre. Das führt, genau wie die Wirkung der Schwerkraft auf die Teleskop-Spiegel, zu leichten Bildverzerrungen.
Doch wie in den Folgen 8 und 9 schon angesprochen, haben die Astronomen das dank der sogenannten Adaptiven Optik auch schon in den Griff bekommen. Was genau das ist und wie es funktioniert, erkläre ich Ihnen in der nächsten Folge von Abenteuer Sterne.